Sakrales und Säkulares friedlich vereint

Einheit in der Vielfalt

…wir wollen sie nicht beunruhigen

Ein Neuankömmling wird von einem Engel durch das himmlische Jerusalem geführt. Es gibt viel zu sehen, jedes Stadtviertel ist eine kleine Welt für sich. Sie wandern eine Straße entlang, deren Häuser mit einer solchen Menge an Gold und Ornamenten verziert sind, dass der Neuankömmling murmelt: „So was Kitschiges…“ Der Engel erklärt lächelnd: „Hier wohnen Katholiken, die mögen so was.“
Sie kommen in einen Bezirk, der ausgesprochen nüchtern gestaltet ist, strenge Formen und Grautöne statt Farben. Die Menschen auf den Straßen machen einen ernsthaften Eindruck, selbst ein gelegentliches Lächeln wirkt verhalten. „Das ist ein Bezirk für die Evangelikalen“, erklärt der Engel.
Anschließend geht es in ein Viertel, in dem die Fassaden voller Street-Art und die Passanten phantasievoll bunt sind, Hip-Hop dröhnt aus der einen Tür, etwas, was den Neuankömmling an die Toten Hosen erinnert, aus der anderen. „Vermutlich wohnen hier Jesus-Freaks?“ fragt er. „Richtig“, bestätigt der Engel. Dann ermahnt er seinen Begleiter: „Ab der nächsten Kurve bitte nicht mehr sprechen, sondern absolute Ruhe einhalten. Bitte auch möglichst leise laufen.“
Sie kommen um die Ecke. Man sieht eine hohe Mauer, was dahinter sein mag, verbirgt sich dem Blick. Gehorsam schweigend huscht er mit dem Engel die Straße hinunter, bis nach einer weiteren Biegung wieder fröhliches Treiben herrscht.
Die Gebäude hier sind schlicht, aber es dringen laute Gesänge und wilder Jubel aus ihnen auf die Straße. „Hier sind Charismatiker zu Hause“, bestätigt der Engel, was der Neuankömmling schon vermutet hat.
„Schön“, sagt er, „sehr schön. Aber darf ich fragen, was das eben war, als wir so leise sein mussten?“
Der Engel erklärt: „Hinter der Mauer wohnen Baptisten. Sie glauben, sie wären die einzigen im Himmel und wir wollen sie nicht beunruhigen…“

Diese kleine Geschichte, das sei zu meiner Ehrenrettung gesagt, habe ich in ähnlicher Form das erste Mal von einem Baptisten gehört, den ich sehr schätze.

Wir sind verschieden. Nicht nur insofern, als unsere Gemeinden und Kirchen unterschiedliche Stile und Traditionen der Frömmigkeit pflegen, sondern auch in einer Ortsgemeinde, wie sie auch heißen mag, treffen wir auf höchst unterschiedliche Menschen. Einheit in der Vielfalt ist das Motto für diesen Männertag, und mein Wunsch ist, dass wir genau das erleben: Vielfältige Charaktere, Meinungen, Traditionen, Prägungen, gleichzeitig aber auch Einheit in dem Ziel, unserem Herrn nachzufolgen und einander nach besten Kräften zu unterstützen. Männer tun sich damit manchmal schwerer als Frauen, und ich hoffe, dass ich mit meinem Beitrag ein wenig helfen kann, dass wir den anderen so lassen wie er ist – und auch uns selbst mit unseren Eigenarten oder trotz unserer Eigenarten akzeptieren.

Mein Freund Harald Sommerfeld, dessen Beitrag wir nachher hören werden, hat Vorlieben, die sich mit meinen nicht decken wollen. Nicht ohne ein Schmunzeln habe ich in die kleine Geschichte am Anfang meines Beitrages ein Stadtviertel geschmuggelt, in dem Street-Art die Mauern verunziert – oder, fragt man Harald – verziert. Street-Art ist ein Euphemismus für Graffiti – und ich finde eine weiß getünchte Fassade ansehnlicher als eine mit Sprüchen oder Bildern versehene. Das hat mich jedoch nicht davon abgehalten, bei einem Fahrradausflug mit der Familie vor einigen Wochen mit der Kamera einige gesprayte – nun gut, sagen wir ruhig Gemälde – festzuhalten, die mir unterwegs auffielen. Die Fotos hat dann Harald bekommen und sich dem Vernehmen nach darüber gefreut.
Es gibt aber auch Vorlieben, die Harald und mir gemeinsam sind. Wir beide mögen Bob Dylan und Eric Clapton. Ich lese Haralds Texte gerne, denn er schreibt über Dinge und Fragen, die auch meine Aufmerksamkeit erregen. Wir haben gemeinsame Anliegen, die wir in einer Arbeitsgruppe bei „Gemeinsam für Berlin“ mit anderen Christen zusammen verfolgen. Wir sind eins, und gleichzeitig deutlich unterscheidbare Persönlichkeiten. Das gleiche gilt vermutlich für die meisten hier im Raum.

Wir sind keineswegs einzigartig in unserer Unterschiedlichkeit. Schon die Jünger Jesu waren (und blieben) ein recht bunter Haufen mit schillernden Persönlichkeiten. Da gab es die Donnersöhne, den Thomas, der erst sehen und dann glauben wollte, die Jünger, die sich darüber stritten, wer wohl den Ehrenplatz im Himmel bekommen würde, den Johannes, den Jesus besonders lieb hatte, den Petrus, bei dem das Denken gelegentlich erst nach dem Handeln einsetzte…

Dennoch waren diese so verschiedenen Männer mit zahlreichen anderen Gläubigen einmütig beisammen, als zu Pfingsten der Heilige Geist kam und ihnen die Vollmacht und Kraft gab, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe brauchten. Sie wurden dadurch verändert – aber nicht in dem Sinne, dass sie plötzlich ihre Eigenarten verloren hätten. Es gab auch später deutliche Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten. Petrus bemerkte, mit einem Lächeln kann ich mir vorstellen, bezüglich der Paulusbriefe: „In diesen Briefen ist einiges schwer zu verstehen.“ (2. Petrus 3, 16) Paulus wiederum berichtete den Galatern von einer Konfrontation mit Petrus, die wir nachher noch genauer betrachten. Dennoch waren Petrus und Paulus, zwei sehr verschiedene Männer, eins.

Die Jünger (und Jüngerinnen) waren keine gleichgeschaltete Roboter, sondern Individuen, die jedoch ein gemeinsames Ziel hatten – und darin eins waren. Zwei Persönlichkeiten, die wir in der Bibel im engsten Jüngerkreis finden, möchte ich kurz vorstellen.

Simon Petrus

Nur von Petrus überliefern die Evangelien ein ausdrückliches Bekenntnis zu Jesu Messiaswürde schon vor dessen Auferstehung (Markus 8,29): „Du bist der Christus!“ Doch gleich darauf, nachdem Jesus den Jüngern erstmals seinen vorherbestimmten Leidensweg ankündigte, nahm Petrus ihn beiseite und „fing an, ihm zu wehren.“ (V. 32). Daraufhin wies Jesus ihn schroff zurecht: „Weiche von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“ (V. 33) Das klingt hart für unsere Ohren, wenn man nicht weiß, dass „Satan“ im Hebräischen „Gegner“ oder „Widersacher“ bedeutet. Petrus wird hier mit dem Versucher in der Wüste verglichen, der Jesus ebenfalls von seinem Leidensweg abhalten wollte (Matthäus 4, 1-11).

Wer war dieser Mann, den Jesus mal Fels und mal Widersacher nannte?

Der Widerspruch zwischen Reden und Handeln zeigte sich bei Petrus schon in Galiläa: Einerseits vertraute er dem Ruf Jesu „Komm her!“ und stieg mitten auf dem See aus dem Boot, andererseits schwand sein Glaube beim Blick auf die Wellen, so dass Jesus ihn vor dem Versinken retten und ihn „Kleingläubiger“ nennen musste (Matthäus 14,29 ff).
Petrus war impulsiv. Laut Johannes 13, 6-9 widersprach er Jesu Ansinnen, ihm die Füße zu waschen. Diese Handlung war damals ein typischer Sklavendienst: Petrus wehrte sich dagegen, sich von Jesus als seinem Herrn wie von einem Sklaven bedienen zu lassen. Als Jesus ihm erklärte, dass er dies später verstehen würde und dass es notwendig sei, verlangte er: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!“
Alle vier Evangelien berichten vom Versagen des ersten Jüngers und Christusbekenners. Jesus kündigte Petrus bei der letzten gemeinsamen Mahlzeit an, er werde ihn noch in derselben Nacht dreimal verleugnen. Dies wies er, wie alle übrigen Jünger, weit von sich: „Wenn ich auch mit Dir sterben müsste, so wollte ich Dich doch nicht verleugnen. Ebenso sprachen sie alle.“ (Markus 14, 27-31)
Schon kurz darauf schlief er ein, als Jesus in Gethsemane den Beistand der Jünger besonders nötig brauchte und ausdrücklich erbat (Matthäus 26, 40ff). Gleich anschließend wiederum versuchte er mit Waffengewalt die Verhaftung Jesu zu verhindern. Er trennte mit seinem Schwert einem Soldaten der Tempelwache ein Ohr ab (Markus 14, 47).
Sein Versagen gipfelte in der Verleugnung Jesu, während dieser sich vor dem Hohen Rat als Messias bekannte und sein Todesurteil empfing (Markus 14, 62). Als das Krähen eines Hahnes im Morgengrauen Petrus an Jesu Vorhersage erinnerte, weinte er bitterlich (Markus 14, 66-72).
Diese Episoden zeigen: Petrus fehlte wiederholt die Kraft, seinem Glauben gemäß zu handeln, als es darauf angekommen wäre. Dennoch erhielt gerade er von Jesus den Namen „Fels“ und die Zusage der Gemeindegründung (Matthäus 16, 16-23).
Er war und blieb ein impulsiver Mann, der oft redete, bevor er nachdachte. Von ihm stammte auch die Idee, einen Ersatz für Judas zu wählen (Apostelgeschichte 1, 15ff), wir lesen nirgends, dass es einen Auftrag Jesu gegeben hätte, den durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Apostel zu ersetzen.
Nun mag jemand sagen, dass Jesus ihn bereits im Vorgriff auf die Zeit nach der Erfüllung mit dem Heiligen Geist Fels genannt habe.
Die Apostelgeschichte zeigt Petrus nach Pfingsten tatsächlich als todesmutigen Bekenner vor dem Hohen Rat, der die Sendung des Heiligen Geistes als Missionar und Leiter der Urgemeinde vorbildlich erfüllte (Apostelgeschichte 5, 29).
Allerdings war er auch nach Pfingsten keineswegs seine charakterlichen Eigenarten los. Paulus erlebte ihn als wankelmütig, die betreffende Begebenheit werden wir etwas später noch genauer betrachten.

Bei Petrus erkennen wir auf jeden Fall das dichte Beieinander von Glauben und Unglauben, Zeugendienst und verweigerter Nachfolge, impulsives, manchmal unüberlegtes Handeln – aber auch die Bereitschaft, Fehler zu erkennen und dann seinen Weg entsprechend zu korrigieren.

Johannes

Johannes gehörte zusammen mit Simon Petrus und Jakobus zum engsten Kreis der Jünger, der auch in der jungen Kirche weiter eine besondere Rolle spielte. Erwähnung fand Johannes beispielsweise im Galaterbrief (ca. 50 nach Christus), als Paulus auf das Ansehen hinwies, das Johannes als eine der drei Säulen der jungen Kirche genoss (Galater 2, 9).
Johannes war, wie sein Bruder Jakobus, von Beruf Fischer. Die beiden Brüder bekamen von Jesus den Beinamen Boanerges (aramäisch, von Markus als „Donnersöhne“ übersetzt).
Im Johannesevangelium wird von einem namentlich nicht genannten Jünger stets mit der Wendung „der, den Jesus liebte“ gesprochen (Johannes 13, 23; Johannes 19, 26; Johannes 21, 7; Johannes 21, 20). Gemäß dem Schlusswort des Evangeliums (Johannes 21, 24) handelt es sich dabei um den Evangelisten selbst. Man möchte daraus auf Bescheidenheit schließen, obwohl dieser Charakterzug dem Lieblingsjünger an anderen Stellen völlig zu fehlen schien, wie wir sehen werden.
Johannes wird in den Evangelien häufig erwähnt, wenn Jesus aus dem Kreis der Jünger nur ganz wenige mitnahm. „Und er erlaubte niemand, ihn zu begleiten, außer Petrus und Jakobus und Johannes, dem Bruder des Jakobus“, und zwar in das Haus der gerade verstorbenen Zwölfjährigern, um sie aufzuerwecken (Markus 5, 37). Johannes gehörte zu den drei Jüngern, die Jesus mit auf den Berg nahm, auf dem es dann zu einer Begegnung mit Elia und Mose kam (Matthäus 17, 1).
Johannes gilt vor allem deshalb als großes Vorbild, weil er bei der Kreuzigung Jesu nicht fortlief wie die anderen Jünger, sondern auch dort zu Jesus stand – im Gegensatz zu Petrus, der große Versprechen gemacht und dann versagt hatte (Johannes 19, 26-27).
War Johannes nun wirklich so bescheiden, wie es seine Scheu, den eigenen Namen zu nennen, vermuten lässt?
Zumindest nicht immer. Johannes kam mit seinem Bruder Jakobus – unterstützt durch die Mutter – mit der Bitte zu Jesus, die beiden Ehrenplätze links und rechts vom Thron Jesu im kommenden Königreich einnehmen dürften. Sie waren dabei ausserordentlich selbstbewusst, denn sie versicherten, den gleichen Kelch wie Jesus trinken zu können (Matthäus 20, 20ff, Markus 10, 35ff). Die anderen zehn Jünger waren empört…
Johannes konnte auch petzen: „Lehrer, wir sahen jemand Dämonen austreiben in deinem Namen; und wir wehrten ihm, weil er uns nicht nachfolgt.“ (Markus 9, 38) Jesus wies ihn zurecht.
Johannes fand bald darauf eine neue Gelegenheit, den künftigen Vizeregierungschef zu spielen. Jesus wurde auf dem Weg nach Jerusalem in einem Dorf nicht aufgenommen. Als aber seine Jünger Jakobus und Johannes (wir erinnern uns, die beiden, die nach den Ehrenplätzen links und rechts gefragt hatten) das sahen, sprachen sie: „Herr, willst du, dass wir sagen, dass Feuer vom Himmel herabfallen und sie verzehren soll?“ (Lukas 9, 54) Auch dafür gab es einen Verweis von Jesus.
Johannes brachte den Mut auf, Jesus zu fragen, wer ihn verraten würde, und zwar angestiftet von Petrus, der sich selbst nicht traute: Einer von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tisch an der Brust Jesu. Diesem nun winkt Simon Petrus zu erfragen, wer es wohl sei, von dem er rede. Jener lehnt sich an die Brust Jesu und spricht zu ihm: „Herr, wer ist es?“ (Johannes 13, 23ff).
Jesus nahm später auch Johannes mit, als er in Gethsemane betrübt und geängstigt ins Gebet ging (Matthäus 26, 36 ff). Wir wissen, dass keiner, auch er nicht, mit Jesus wachen und beten konnte.
Johannes war andererseits ein verantwortungsbewusster Mann, denn er übernahm die Versorgung der Mutter Jesu: Als nun Jesus die Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, spricht er zu seiner Mutter: „Frau, siehe, dein Sohn!“ Dann spricht er zu dem Jünger: „Siehe, deine Mutter!“ Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich (Johannes 19, 26-27). Man kann daraus schließen, dass Joseph aus nicht genannten Gründen für Maria nicht mehr als Versorger zur Verfügung stand.
Johannes rannte schneller als Petrus zum leeren Grab: Die beiden aber liefen zusammen, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam zuerst zu der Gruft. Petrus wiederum ging hinein, während Johannes sich nicht traute: Als er (Johannes) sich vornüberbückt, sieht er die Leinentücher daliegen; doch ging er nicht hinein. Da kommt Simon Petrus, der ihm folgte, und ging hinein in die Gruft und sieht die Leinentücher daliegen… Als Petrus kein Unheil geschah, traute sich auch Johannes in das Grab und glaubte, dass es wirklich leer war (Johannes 20, 2-10).
Johannes erkannte Jesus nach der Auferstehung am Ufer, als sie nach einem nicht unerheblichen Fischzug noch im Boot saßen: Da sagt jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: „Es ist der Herr!“ Simon Petrus nun, als er hörte, dass es der Herr sei, gürtete das Oberkleid um – denn er war nackt – und warf sich in den See. (Johannes 21, 7)

Petrus und Johannes blieben auch in der Apostelgeschichte ein Gespann, zum Beispiel waren es diese beiden, die den gelähmten Bettler auf dem Weg zum Tempel heilten: Als dieser Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel eintreten wollten, bat er, dass er ein Almosen empfinge. Petrus aber mit Johannes blickte fest auf ihn hin und sprach: „Sieh uns an!“ Er aber gab acht auf sie, in der Erwartung, etwas von ihnen zu empfangen. Petrus aber sprach: „Silber und Gold besitze ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers: Geh umher!“ (Apostelgeschichte 3, 3-6)
Die beiden wurden später nach Samaria geschickt, als dort die ersten Bekehrungen stattfanden (Apostelgeschichte 8, 14ff).

Einheit

Einheit ist ein beliebtes Thema, nicht nur in der Gemeinde und Kirche. Aus „wir sind das Volk“ wurde „wir sind ein Volk“, bald darauf war Deutschland tatsächlich eins. Mehr oder weniger, mag man anfügen, aber zumindest die politische Vereinigung fand statt. Die Einheit der europäischen Völker dagegen will nicht gelingen, was man je nach politischem Standpunkt begrüßen oder bedauern kann. „Gemeinsam stark“ heißt eine Mittelstandsvereinigung in der Wirtschaft, „Ich bin wir – gemeinsam stark“ wirbt ein Behindertenverband um Unterstützung. Ob in Sport, Gesellschaft oder Politik, es ist kein Geheimnis, dass Einheit und Erfolg meist zusammen gehören.

Die Einheit der Gemeinde Jesu ist eine Angelegenheit, die aus verschiedenen Blickwinkeln unterschiedlich bewertet wird. Das gemeinsame Abendmahl von Katholiken und Protestanten findet zwar statt, aber nicht mit offiziellem Segen.
Gemeinsame evangelistische Aktivitäten von verschiedenen Kirchen und Gemeinden kommen vor, aber sie sind eher die Ausnahme als die Regel. Der eine findet das so in Ordnung, der andere wünscht sich mehr Zusammenarbeit.
Doch der Wunsch nach Einheit ist nicht gleichbedeutend mit Uniformität. Es war keineswegs das Ziel Jesu, die zwölf Jünger zu einem Prototyp des perfekten Mannes umzuformen, gleichzuschalten, sie quasi neu zu programmieren. Dennoch wollte er und bat den Vater, dass sie alle eins seien, wie wir aus Johannes 17 wissen. Ein Widerspruch? Ich meine, nein.

Einheit von Menschen kann entstehen und zum Erfolg beitragen, wenn es ein gemeinsames Ziel gibt. Man macht sich eins, um dieses Ziel zu erreichen. Man stellt, wenn es notwendig ist, persönliche Vorlieben zurück, erträgt die störenden Eigenarten anderer, weil das anvisierte Ziel wichtiger ist als die Beeinträchtigung.
Aber wie weit geht das eigentlich? Wo sind die Grenzen zu ziehen, die markieren, was um der Einheit willen noch diesseits und was jenseits des Zulässigen liegt? Muss man alles schlucken, um nicht die Einheit zu stören?

Ein Beispiel, das schon kurz erwähnt wurde, gibt uns Aufschluss. Der Apostel Paulus war zweifellos eins mit Petrus in dem Ziel, dass das Evangelium sich ausbreiten und die Gemeinde wachsen sollte. Aber er bezog klar Stellung, als Petrus, immerhin der ältere Bruder im Glauben, von den Grundsätzen des Evangeliums abwich:

Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, weil er durch sein Verhalten verurteilt war. Denn bevor einige von Jakobus kamen, hatte er mit denen aus den Nationen gegessen; als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab, da er sich vor denen aus der Beschneidung fürchtete. Und mit ihm heuchelten auch die übrigen Juden, so dass selbst Barnabas durch ihre Heuchelei mit fortgerissen wurde. Als ich aber sah, dass sie nicht den geraden Weg nach der Wahrheit des Evangeliums wandelten, sprach ich zu Kephas vor allen: „Wenn du, der du ein Jude bist, wie die Nationen lebst und nicht wie die Juden, wie zwingst du denn die Nationen, jüdisch zu leben?“ (Galater 2, 11-14)
Ausgerechnet Petrus, der durch eine Vision vor seinem Besuch im Haus des Kornelius belehrt worden war, dass Gott keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden macht, hatte sich von den Heidenchristen zurückgezogen, als er mögliche Probleme witterte. Man könnte argumentieren, dass Petrus die Einheit mit den jüdischen Gläubigen nicht gefährden wollte, aber damit war für Paulus ein Punkt erreicht, der durch den Wunsch nach Einheit der Gemeinde nicht mehr gerechtfertigt war.
Diese Episode rief jedoch, und das ist so wichtig wie der Vorfall selbst, keine bleibende Trennung hervor. Ausgerechnet Petrus nämlich stand beim Apostelkonzil, das wenig später in Jerusalem stattfand, auf und erinnerte die Versammlung: „Ihr Brüder, ihr wisst, dass Gott mich vor langer Zeit unter euch auserwählt hat, dass die Nationen durch meinen Mund das Wort des Evangeliums hören und glauben sollten. Und Gott, der Herzenskenner, gab ihnen Zeugnis, indem er ihnen den Heiligen Geist gab wie auch uns; und er machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen, da er durch den Glauben ihre Herzen reinigte. Nun denn, was versucht ihr Gott, ein Joch auf den Hals der Jünger zu legen, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten?“ (Apostelgeschichte 15, 7-10).

Die Einheit der Männer, die Verantwortung trugen, wurde durch dieses Konzil wiederhergestellt. Warum? Weil es ihnen nicht in erster Linie um Traditionen oder Formen ging, sondern um das Reich Gottes, das Evangelium. Weil Petrus sein Fehlverhalten erkannt und korrigiert hatte und andere Männer ebenfalls von ihrem traditionellen Standpunkt lassen konnten.
Es gab damals und gibt heute Streitpunkte auch unter Männern Gottes, was an und für sich noch keine Katastrophe ist. Wenn alle Beteiligten danach streben, für das eine gemeinsame Ziel eigene Vorstellungen in Frage zu stellen, kann trotz der Unterschiedlichkeit etwas Fruchtbares entstehen. In Frage stellen heißt ja nicht, dass alles über Bord geworfen werden muss. Es war nach dem Apostelkonzil schließlich nicht so, dass die jüdischen Gläubigen auf einmal Fleisch essen mussten, das sie für unrein hielten. Sie konnten mit gutem Gewissen bei ihren Speisegewohnheiten bleiben. Es ging vielmehr darum, kein Gesetz aus etwas zu machen, was kein Gesetz war.
Das Fazit, auf das sich das Konzil einigte, lautete: „Es hat dem Heiligen Geist und uns gut geschienen, keine größere Last auf euch zu legen als diese notwendigen Stücke: euch zu enthalten von Götzenopfern und von Blut und von Ersticktem und von Unzucht. Wenn ihr euch davor bewahrt, so werdet ihr wohl tun. Lebt wohl!“ (Apostelgeschichte 15, 28-29)
Wichtig war damals und ist heute, dass wir Vorlieben und Traditionen von den Dingen unterscheiden können, die aus göttlicher Sicht ungut sind.

Wir sind hier heute Männer mit sehr unterschiedlicher Herkunft und bestimmt verschiedenen Vorlieben und Abneigungen, abgesehen von rein äußerlichen Merkmalen. Der eine ist groß, der andere schmächtig, der eine mag Beethoven, der andere die Beatles. Der eine faltet beim Gebet die Hände und schließt die Augen, der andere hebt die Hände und blickt empor. Der eine bevorzugt die besinnliche Anbetung, der andere hüpft vor dem Herrn auf und nieder. Der eine liest gern Bücher, dem anderen sind sie ein Graus. Doch trotz aller Unterschiede ist es möglich, eins zu sein.

Vielfalt

Manchmal ist es allerdings nicht möglich, in einem Team zusammen zu arbeiten, das kam selbst bei Paulus und seinen Mitarbeitern vor. Nach einigen Tagen aber sprach Paulus zu Barnabas: „Lass uns nun zurückkehren und die Brüder besuchen in jeder Stadt, in der wir das Wort des Herrn verkündigt haben, und sehen, wie es ihnen geht.“ Barnabas aber wollte auch Johannes mit dem Beinamen Markus mitnehmen. Paulus aber hielt es für richtig, den nicht mitzunehmen, der aus Pamphylien von ihnen gewichen und nicht mit ihnen gegangen war zu dem Werk. Es entstand nun eine Erbitterung, so dass sie sich voneinander trennten und Barnabas den Markus mitnahm und nach Zypern segelte. Paulus aber wählte sich Silas und zog aus, von den Brüdern der Gnade Gottes befohlen. (Apostelgeschichte 15, 36-40)
Eigentlich führte ein eher nichtiger Anlass zu dieser Trennung. Jener erwähnte Johannes Markus war, so lesen wir in Apostelgeschichte 13, nach Jerusalem zurückgekehrt, während Paulus und seine übrigen Begleiter weiterreisten. Was immer auch Johannes Markus zur Rückkehr nach Jerusalem bewogen haben mochte, Paulus wollte um keinen Preis erneut mit diesem Mann zusammen missionieren. Dafür trennte er sich sogar von Barnabas, der ihn ja seinerzeit weiter treu begleitet hatte.
Aber – und das ist wiederum sehr bemerkenswert, weder Barnabas noch Paulus noch sonst ein Beteiligter gab seine Berufung deswegen auf. Sie bauten das Reich Gottes weiter.

Es gibt auch heute Männer, die zwar das gleiche Ziel verfolgen, jedoch nicht im Team zusammen daran arbeiten können. Macht das den einen oder anderen schlechter oder besser? Müssen wir in solchen Fällen nach dem Schuldigen suchen? Ich meine, nein.
Statt sich in Zwietracht und Erbitterung nebeneinander abzumühen, wirken solche inkompatiblen Charaktere eben getrennt von einander, jeder in seinem Bereich und auf seine Weise. Paulus berief kein Apostelkonzil ein, vor dem sich Barnabas oder Johannes Markus hätten rechtfertigen müssen. Das heißt jedoch nicht, dass Johannes Markus eine geringere Ernte eingebracht haben muss.
Die Einheit in der Vielfalt, die uns heute bei diesem Männertag beschäftigt, ist etwas anderes als Gleichschaltung oder Gleichmachung. Sie ist vielmehr der Entschluss, ein gemeinsames Ziel ins Auge zu fassen, anstatt einander kritisch zu beäugen.
Petrus, der Fischer aus einem Dorf und Paulus, der Bildungsbürger aus Tarsus haben das fertig gebracht. Jesus hat Donnersöhne in den Kreis der Apostel berufen, aber auch den zögerlichen Thomas.

Die Gemeinde in Korinth war ein recht bunter Haufen, um es einmal etwas salopp auszudrücken. Paulus sah sich genötigt, einiges zurechtzurücken: „Brüder und Schwestern, im Namen von Jesus Christus, unserem Herrn, rufe ich euch auf: Seid einig! Bildet keine Gruppen, die sich gegenseitig bekämpfen! Haltet in gleicher Gesinnung und Überzeugung zusammen! Durch Leute aus dem Haus von Chloë habe ich erfahren, dass es unter euch Auseinandersetzungen gibt. Ich meine damit, dass ihr euch alle irgendeiner Gruppe zurechnet. Die einen sagen: »Ich gehöre zu Paulus!« Die andern: »Ich gehöre zu Apollos!« oder auch: »Ich gehöre zu Petrus!« Und wieder andere erklären: »Ich gehöre zu Christus!« Christus läßt sich doch nicht zerteilen! Ist vielleicht Paulus für euch am Kreuz gestorben? Oder wurdet ihr auf seinen Namen getauft?“ (1. Korinther 1, 10-13)

Tun wir nicht genau das Gleiche? Die einen sagen „Ich gehöre zur Pfingstgemeinde“, die anderen: „Ich bin evangelisch“, jemand neben ihm sagt: „Ich bin katholisch“ und wieder ein anderer nennt sich „charismatisch“. Indem wir das sagen, meinen wir nicht nur die Bezeichnung unserer Heimatgemeinde, sondern wir sagen gleichzeitig – ohne es auszusprechen freilich – dass wir in bestimmten Dingen und Fragen „Recht haben“ während den anderen noch etwas Erkenntnis fehlt.
Ist vielleicht Martin Luther für uns gestorben? Oder ist der Papst für uns gestorben? Oder ist Reinhard Bonnke oder John Wesley für uns gestorben? Oder wurden wir auf den Namen unseres jeweiligen Pastors getauft?
Wir werden nicht alles verstehen oder gutheißen, was der Christ aus einer anderen Konfession oder Denomination an Überlieferungen und Werten mitbringt. Genauso wird er unsere Traditionen und Überzeugungen nicht unbedingt verstehen oder teilen. Wir sind nun einmal verschieden, so wie Paulus und Apollos und Petrus verschieden waren.

Ich bin vielleicht eine Ausnahme: Die Jugend verbrachte ich in einer traditionellen Pfingstgemeinde, habe über Jahre in einer evangelischen Landeskirche mit einem Pfarrer zusammen wöchentliche Gottesdienste gestaltet, in einer katholischen Basilika bei Messen mitgewirkt, habe lange in einer evangelikalen Gemeinde meine geistliche Heimat gehabt und bin heute Mitglied einer charismatischen Freikirche.
Wenn ich etwas in den mehr als 30 Jahren meines Christseins gelernt habe, dann dies: Gott setzt unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Weise ein. Und es ist mit Sicherheit nicht meine Aufgabe, zu erklären, welche Denomination, welcher Prediger, welche Gruppe etwas richtig oder falsch macht. Ich bin nach einer schweren Lebenskrise in der evangelikalen Gemeinde geistlich, seelisch und körperlich gesund geworden. Ich habe dort Hilfe erfahren, die unschätzbaren Wert hatte. Ich habe in charismatischen Kreisen genauso Wunder gesehen wie in Landeskirchen. Ich habe drei Tage und Nächte mit katholischen Geschwistern eine Gebetswache aufrechterhalten. Mir kann niemand mehr erzählen, dass Gott nur in „seiner“ Denomination wirkt.
Noch einmal Paulus: Zu euch, Brüder und Schwestern, konnte ich bisher nicht reden wie zu Menschen, die von Gottes Geist erfüllt sind. Übrigens waren die Korinther eine ausgesprochen charismatische Gemeinde. Am Anfang des Briefes bescheinigt der Apostel, dass es bei den Empfängern an keiner Gnadengabe Mangel gab. Aber ein paar Absätze später schreibt er: Ihr steht immer noch im Bann eurer selbstsüchtigen Natur. Ihr rivalisiert miteinander und streitet euch. Das beweist doch, dass ihr nicht aus dem Geist Gottes lebt, sondern eurer selbstsüchtigen Natur folgt und so handelt wie alle anderen Menschen auch! Wenn die einen sagen: »Ich gehöre zu Paulus«, und die andern: »Ich gehöre zu Apollos« – seid ihr da nicht immer noch die ‚alten‘ Menschen? Nun, was ist denn Apollos? Und was ist Paulus? Gottes Helfer sind sie, durch die ihr zum Glauben gekommen seid. Jeder von uns beiden hat von Gott seine besondere Aufgabe bekommen. Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat es wachsen lassen. Es zählt also nicht, wer pflanzt oder wer begießt; es kommt alles auf Gott an, der es wachsen läßt. Wir beide arbeiten an demselben Werk: der, der pflanzt, und der, der begießt; doch wird Gott jeden nach seinem persönlichen Einsatz belohnen. (1. Korinther 3, 1-8)

Liebe Männer, lasst uns nicht wie die von Paulus so apostrophierten ‚alten Menschen‘ sein. Was ist denn die katholische Kirche, die evangelische Kirche, die charismatische Gemeinde, die evangelikale Kirche, die Pfingstkirche oder die Baptistengemeinde? Gottes Helfer sind sie, durch die wir zum Glauben gekommen sind.
Du musst nicht sein wie der Bruder und die Schwester aus einer anderen Konfession oder Denomination, du musst ihre Formen der Anbetung, des Gebetes, des Gottesdienstes weder nachahmen noch übernehmen. Es ist gar nicht notwendig, dass wir unsere Eigenarten aufgeben. Du musst auch nicht alles begreifen oder für richtig befinden, was in anderen (oder deiner eigenen!) Gemeinden vor sich geht. Trauen wir dem Herrn der Gemeinde, Jesus Christus, nicht zu, selbst zu richten und zu beurteilen? Kann er nicht Fehler korrigieren und Wildwuchs beschneiden?
Wenn der Herr dich zum Wächter bestellt haben sollte, dann gibt er dir auch die Autorität und die Weisheit, dieses Amt auszuüben, so wie zum Beispiel Paulus. Wenn du ein Hirtenamt bekleidest, gehört es zweifellos zu deinen Aufgaben, dass die Schafe unter deiner Leitung gesunde Nahrung und sauberes Wasser finden.
Ansonsten ist es deine Aufgabe, für die Menschen zu beten, bei denen du meinst, etwas falsches zu erkennen und gleichzeitig sehr sorgfältig nach dem Balken zu suchen, der möglicherweise in deinem Auge steckt. Den Splitter im Auge des anderen wird dann derjenige entfernen, dessen Geschöpf damit herumläuft. Zweifellos könnte man diesem Thema einen ganzen Männertag widmen, möglichst mit Einbeziehung der Frauen. Doch das ist heute nicht das Thema.
Notwendig (das heißt, dass eine Not gewendet wird) ist nur, dass wir uns danach ausstrecken, aus dem Geist Gottes zu leben, wie Paulus oben sagt. Anstatt miteinander zu rivalisieren und zu streiten, sollten wir gemeinsam danach streben, das Reich Gottes zu bauen und die Hölle zu plündern. Der Herr braucht dazu Männer, die sich auf ihr Ziel konzentrieren und einander zur Seite stehen.

Meine Empfehlung am Schluss meines Beitrages lautet daher: Lasst uns ein bunter Haufen bleiben, wie wir es sind, und mit dem richtigen Ziel im Auge eins sein in unserer Vielfalt.

P.S.: Dies war mein Vortrag beim Männertag 2007 der Gemeinde auf dem Weg in Berlin – den Mitschnitt gibt es auch als Audio: Einheit in der Vielfalt zum Anhören (MP3) – Teil1 // Teil 2 // Teil 3 // Teil 4 // Teil 5 // Teil 6 // Teil 7 // Teil 8

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