Sakrales und Säkulares friedlich vereint

Vorbemerkung im Sommer 2014: »Hoffentlich liest das niemand«, denke ich angesichts mancher Texte aus meiner Feder. Und ich lasse sie trotzdem stehen. Sie sind aus einer Lebens- und Glaubenssituation entstanden, die damals authentisch war. Ich bin weiter gegangen auf meiner Lebensreise, aber das ändert ja nichts daran, dass ich einmal dort in der Vergangenheit war und aus der damaligen Sicht geschrieben habe. Vielleicht sind solche Beiträge ja noch immer für Menschen gut, zu deren Situation sie passen. Heute würde ich über dieses Thema anders schreiben. Vielleicht tue ich das sogar eines Tages …
Mehr über die innere Entwicklung, die im Lauf der Zeit auch für felsenfest gehaltene Überzeugungen wandeln kann, in diesem Artikel: Hoffentlich liest das niemand
E
nde der Vorbemerkung.

Ein anderes Evangelium

Eigentlich hatte ich vor, in diesem Kapitel das Amt der Apostel zu untersuchen, die wir in dieser Zeit brauchen und haben werden. Aber beim Schreiben entstand ein Kapitel, das ich so nicht geplant hatte. Ich empfinde es jedoch als richtig und wichtig, diese Gedanken den genaueren Betrachtungen weiterer Dienste und Aufgaben voranzustellen.Als ich vor einiger Zeit am Ende des Buches „Der Schwarm“ von Frank Schätzing angekommen war, hatte ich 993 Seiten spannende Lektüre genossen. Auf den letzten sechs Seiten folgt der Erzählung ein Epilog, in dem der Autor überwiegend die Unverträglichkeit seiner Erzählung mit dem Christentum reflektiert. Es wird recht deutlich, warum Frank Schätzings Romangestalten keinem Glauben anhängen, der irgendwelche Relevanz für ihr Leben hätte, denn er lässt Samantha Crowe, eine der wenigen Überlebenden des gerade noch verhinderten Untergangs der menschlichen Rasse feststellen, dass sich Christentum, Islam und Judentum gleichermaßen als gescheitertes Menschenwerk entpuppen.
Samantha Crowe macht sich symptomatische Gedanken:

„Gott hat mit der Menschheit nicht gerade sein Meisterstück abgeliefert. Er hat gepatzt. Er hat nicht verhindern können, dass die Menschen sündig wurden, also sah Er sich gezwungen, Seinen Sohn zu opfern, um die Schuld zu tilgen. Eine Art Kredit in Blut. Welcher Vater tut so etwas leichten Herzens? Gott selber musste zu dem Schluss gelangt sein, dass Ihm die Menschheit misslungen war.“

Nun ist dies ein Roman, und als solcher zu verstehen. Und doch spiegelt sich im Epilog des Buches das Bild der Gemeinde Jesu Christi, wie es die Welt heute wahrnimmt.
Das Nachrichtenmagazin FOCUS widmete die Titelgeschichte der Weihnachtsausgabe 2006 dem Thema „Was nützt Religion?“ Dabei stellen die Journalisten in einem Vergleich „Das Angebot der Weltreligionen“ fest, dass nach dem Tod die Protestanten „auf die Auferstehung der Toten hoffen, von Hölle ist kaum noch die Rede.“ Über die Katholiken heißt es:

„Optionen: selige Gemeinschaft mit Gott im Himmel, ein vorangehender Aufenthalt im Fegefeuer oder die ewigen Qualen der Hölle.“

Was weiß der FOCUS-Vergleich sonst noch über die Christen? Zum Beispiel:

„In konservativen Gruppen wie etwa den Evangelikalen wird nicht geschlemmt.“ Sex ist bei den Katholiken „prinzipiell erlaubt, aber Ehebruch ist eine Todsünde. Sex außerhalb der Ehe gilt als Unzucht, Selbstbefriedigung, gelebte Homosexualität, Verhütungsmittel sind verboten.“

Den Protestanten bescheinigt die Studie, dass „…heute die meisten größeren Kirchen Sex als Gabe Gottes anerkennen.“
Interessant ist, dass der Weltreligionsvergleich den Glauben als eine Art Club betrachtet, dem man hier oder dort beitreten kann:

„Wer einer Glaubensgemeinschaft beitreten will, sollte die Angebote auf seine persönliche Situation hin überprüfen. Heikle Punkte sind meist Speisevorschriften, der Umgang mit Sexualität und die Rolle der Frau. Wichtig ist auch, ob man die Religion als Amateur oder als Profi betreiben will. An letztere werden meist deutlich höhere Anforderungen gestellt.“

Wir können uns natürlich darüber empören, dass „die Welt“ ein so schiefes und verzerrtes Gottesbild hat, so wenig beziehungsweise überhaupt nicht begreift, was das Evangelium eigentlich ist. Wir können uns kopfschüttelnd abwenden und im Kreis der Gläubigen unsere Urteile über Journalisten, Autoren, Künstler und Berichterstatter austauschen, die als Blinde die Farbe zu beschreiben sich aufmachen. Und dabei selbstverständlich scheitern.
Wir können uns jedoch auch darüber empören, dass wir „der Welt“ solch ein Bild darbieten. Wer ist denn die Gemeinde, wenn nicht jeder von uns Gläubigen? Wen sehen denn die Menschen, wenn nicht uns im Alltag?
Sie sehen uns nicht im Rahmen des Gottesdienstes, den besuchen sie nämlich nicht. Sie sehen uns nicht bei der stillen Andacht im Kämmerlein, da schließen wir ja sorgfältig die Türe. Sie sehen uns nicht beim Austausch von frommen Phrasen und gelehrten Gesprächen über theologische Details, das tun wir ausschließlich unter uns.
Sie sehen uns im Alltag. In ihrem Alttag, ihrem Umfeld, genau da, wo wir mit ihnen zu tun haben. Sie sehen uns, aber offenbar nicht Christus in uns und durch uns. Sonst wäre es kaum vorstellbar, dass der Glaube so missverstanden – beziehungsweise überhaupt nicht verstanden wird.
Statt dessen beobachten sie solche Szenen:

„Wer Kirchensteuer zahlt, hat deshalb keinen Anspruch auf einen Platz in der ersten Kirchenbank. Das erlebten Berliner am Heiligabend, als sie vor dem überfüllten Dom abgewiesen wurden. Einige drohten prompt mit dem Kirchenaustritt. Domprediger Friedrich-Wilhelm Hünerbein musste gestern Briefe aufgebrachter Christen beantworten, die sich beschwerten, dass sie am Heiligabend nicht in den Berliner Dom hineinkamen. Sie hätten ja wohl ein Recht darauf, am Heiligabend im Berliner Dom einen Gottesdienst zu feiern, so die Absender, schließlich würden sie Kirchensteuer zahlen. Zur Strafe würden sie jetzt austreten“ (Zitat aus der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ vom 28. Dezember 2006.)

Was haben diese Journalisten gesehen? Empörte Christen, die für ihre Kirchensteuer einmal im Jahr einen Sitzplatz verlangen. Sie haben einen Club gesehen, dessen Mitglieder eine verlangte Leistung nicht bekommen haben und daher nun den Club verlassen. Der Ruderclub hält zu wenige Boote bereit – wir gehen nicht mehr hin.

Was wollte Jesus eigentlich von seiner Gemeinde? Wie sollte sie sich der Welt präsentieren? Was sollten die Menschen sehen, wenn sie in Kontakt mit Christen kommen?

„Ihr seid das Salz der Erde; wenn aber das Salz fade geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden. Ihr seid das Licht der Welt; eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht eine Lampe an und setzt sie unter den Scheffel, sondern auf das Lampengestell, und sie leuchtet allen, die im Hause sind. So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen.“ (Matthäus 5, 13-16)

Das ist unsere Berufung. Nichts anderes. Die Menschen sollen unsere guten Werke sehen und unseren Vater, der in den Himmeln ist, deshalb verherrlichen. Tun sie das? Wer sieht uns in unserem Alltag und kommt durch die Beobachtung zu dem Schluss dass da ein Vater im Himmel sein muss, der es wert ist, verherrlicht zu werden?
Der Glaube ist neben esoterischen und anderen Angeboten zum Wohlfühlfaktor geworden, den man bei Bedarf zu sich nimmt. Der Berliner „Tagesspiegel“ schreibt in dem bereits zitierten Artikel:

„Dass sich jedes Jahr mehr Menschen zum weihnachtlichen Kirchgang entschließen, führt Kirchensprecher Bräuer auf den besonderen Anlass zurück, auf die Traditionen, die damit verbunden sind und auf die melancholische Stimmung, die viele zu Weihnachten und zum Jahreswechsel überfalle. Viele fragten sich, was das letzte Jahr gebracht habe, wohin das neue führe. Der Gottesdienst werde dann zum „Wohlfühlfaktor“. Aber auch die Auseinandersetzung mit dem Islam spiele eine immer größere Rolle, sagt Stefan Förner, Sprecher der katholische Kirche in Berlin. „Durch die Abgrenzung zum Islam fällt vielen wieder stärker auf, dass Weihnachten ja etwas mit unseren christlichen Wurzeln zu tun hat und dass diese etwas Bewahrenswertes sind.“ Auch, die die vor Jahren aus der Kirche ausgestiegen seien, würden jetzt wieder nach religiöser Identität fragen, nach der eigenen wie auch nach fremden Religionen, sagt Pfarrer Gottfried Brezger aus Lichterfelde-West. Auch sei ein neuer Trend zum Konservativen zu spüren, gerade bei jüngeren Leuten. Rituale würden wieder wichtig.“

Gottesdienstbesuch wegen melancholischer Stimmungen. Christliche Wurzeln als begehrenswerte Bereicherung des Alltags, es dürfen aber auch ruhig Buddhismus, Islam, New Age oder sonst etwas eine Rolle spielen. Bravo, da haben wir doch den Auftrag Jesu an seine Nachfolger hervorragend umgesetzt.

Die Wahrheit ist: Wir haben versagt, auf ganzer Linie und gründlich. Trauen wir uns, darüber nachzudenken, welcher von beiden Knechten uns entspricht, wenn wir in den Endzeitreden Jesu lesen:

„Wer ist nun der treue und kluge Knecht, den sein Herr über sein Gesinde gesetzt hat, um ihnen die Speise zu geben zur rechten Zeit? Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, bei solchem Tun finden wird! Wahrlich, ich sage euch, er wird ihn über seine ganze Habe setzen. Wenn aber jener als böser Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt auf sich warten, und anfängt, seine Mitknechte zu schlagen, und isst und trinkt mit den Betrunkenen, so wird der Herr jenes Knechtes kommen an einem Tag, an dem er es nicht erwartet, und in einer Stunde, die er nicht weiß, und wird ihn entzweischneiden und ihm sein Teil festsetzen bei den Heuchlern: da wird das Weinen und das Zähneknirschen sein.“ (Matthäus 24, 45-51)

Die Endzeit ist jetzt. Der Herr ließ auf sich warten, aber nicht mehr lange. Er wird uns nicht danach fragen, wie viele gesegnete Konferenzen, gesalbte Gottesdienste und erbauliche Hauskreistreffen wir absolviert haben. Es interessiert ihn eher, ob unser Licht unter einem Scheffel oder auf dem Leuchter sitzt.
Die Kirche, die Gemeinde, die Christenheit der westlichen Welt predigt ein anderes Evangelium als das von Jesus Christus. Sie predigt nicht das Evangelium vom Reich Gottes. Uns, der Gemeinde hier und heute, gilt die Schelte des Paulus aus dem Galaterbrief:

„Ich wundere mich, dass ihr euch so schnell von dem, der euch durch die Gnade Christi berufen hat, abwendet zu einem anderen Evangelium, wo es doch kein anderes gibt; einige verwirren euch nur und wollen das Evangelium des Christus umkehren. Wenn aber auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium entgegen dem verkündigten, was wir euch als Evangelium verkündigt haben: er sei verflucht! Wie wir früher gesagt haben, so sage ich auch jetzt wieder: Wenn jemand euch etwas als Evangelium verkündigt entgegen dem, was ihr empfangen habt: er sei verflucht! Denn rede ich jetzt Menschen zuliebe oder Gott? Oder suche ich Menschen zu gefallen? Wenn ich noch Menschen gefiele, so wäre ich Christi Knecht nicht.“ (Galater 1, 6-10)

Es kann und darf nicht dabei bleiben, dass die Gemeinde Jesu Christi (verdient sie überhaupt noch diesen Namen?) ein Wohlfühlfaktor-Evangelium verkündet. Jesus Christus ist gestorben, weil Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er sein Kostbarstes, seinen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben – nicht alle, die für ihre Kirchensteuer einmal jährlich einen Sitzplatz begehren – gerettet werden. Die Alternative ist, dass sie verloren gehen. Auf ewig. Das sagt man heute nicht mehr, da würde man ja Druck ausüben, die Menschen ängstigen. Das wäre gegen jede political correctness. Nun gut, Jesus war offenbar nicht political correct:

„So steht geschrieben, und so musste der Christus leiden und am dritten Tag auferstehen aus den Toten und in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem“ (Lukas 24, 46-47),

erklärte er seinen Jüngern. Er sprach von Sünde und Buße und Vergebung. Am Ende der Pfingstpredigt antwortete Petrus den erschütterten Zuhörern:

„Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden! Und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“ (Apostelgeschichte 2, 38)

Mit dem Verständnis von Sünde und Buße ist uns die Gabe des Heiligen Geistes verloren gegangen. Mit der Gabe des Heiligen Geistes ist uns verloren gegangen, was uns in der Finsternis leuchten lassen würde. Unser Licht glimmt, wenn es nicht ganz erloschen ist, unter dem Scheffel vor sich hin. Die Welt nimmt es jedenfalls nicht wahr.

Darum brauchen wir jetzt Apostel, die der Gemeinde den Weg aus der Gesetzlichkeit und den internen Angelegenheiten hin zu den Verlorenen weisen. Apostel, die mit Vollmacht auftreten, die sich in Zeichen und Wundern zeigt und vom Vater in den Himmeln stammt, nicht von Menschen. Apostel, die keine Rücksicht darauf nehmen, was Menschen über sie reden, sondern darauf, was Gott ihnen aufgetragen hat. Ein Apostel, der seiner Reputation zuliebe etwas zurückhält, was der Herr ihm sagt, wird vielleicht sein Ansehen retten, aber die Berufung bleibt auf der Strecke.
Darum brauchen wir Hirten, die ihre Schafe zum frischen Wasser und zur saftigen Weide führen, anstatt Traditionen zu lehren und zu erklären, warum man die Bibel nicht so verstehen darf, wie sie geschrieben wurde. Hirten, die selbst frische Offenbarung vom Herrn abholen und an die Gemeinde weiterreichen, koste es, was es wolle. Einschließlich des von Menschen verliehenen Amtes. Ein Pastor, der von dem abweicht, was er als richtig erkannt hat, weil es seiner Ältestenschaft zu riskant oder ungewohnt ist, mag sein monatliches Gehalt sichern, aber er wird an den ihm anvertrauten Menschen schuldig.
Darum brauchen wir Lehrer, die nicht Theologie vermitteln, sondern das Wort Gottes, und zwar das lebendige Wort Gottes. Jenes, das wie ein zweischneidiges Schwert wirkt, anstatt zum Wohlfühlfaktor zu werden. Jenes Wort Gottes, das zerschlagen und gequält wurde, gestorben ist, um die Sünde und die Krankheit und die Schmerzen zu besiegen. Jenes Wort Gottes, das auferstanden ist und davon gesprochen hat, dass seine Gemeinde in dieser Welt vor der Wiederkunft eine Ernte einbringt.
Darum brauchen wir Christen, die hinausgehen und die Kranken heilen. Die prophetisch reden. Die in Jesus sind, weil er in ihnen ist. Die alles opfern würden, aber nicht ihre Beziehung mit ihrem Herrn. Denen Stunden in der Gemeinschaft mit Gott wichtiger sind als Schlaf oder Arbeit oder Zerstreuung. Die nicht mehr mit der Theorie zufrieden sind, sondern endlich die Auswirkungen in der Praxis sehen wollen.

Wir werden sie sehen, diese Auswirkungen. Nicht in zehn Jahren oder fünf. Jetzt. Und einige werden schnell mit ihren Urteilen und Schmähungen zur Stelle sein. Nicht nur bei den Ungläubigen werden wir anecken, sondern auch, vor allem sogar, bei den Frommen, den Hütern ihrer Ämter und Traditionen, bei denen, die aus dem Evangelium eine gesellschaftliche Werteordnung und eine Morallehre gemacht haben. Aber es wird sie geben, die Gemeinde Jesu, die sich aufmacht, wieder das zu werden, was sie einmal war:

„Aber durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder unter dem Volk; und sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salomos. Von den übrigen aber wagte keiner, sich ihnen anzuschließen, doch das Volk rühmte sie. Aber um so mehr wurden solche, die an den Herrn glaubten, hinzugetan, Scharen von Männern und auch Frauen, so dass sie die Kranken auf die Straßen hinaustrugen und auf Betten und Lager legten, damit, wenn Petrus käme, auch nur sein Schatten einen von ihnen überschatten möchte. Es kam aber auch die Menge aus den Städten um Jerusalem zusammen, und sie brachten Kranke und von unreinen Geistern Geplagte, die alle geheilt wurden.“ (Apostelgeschichte 5, 12-16)

Zur Fortsetzung

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